Das Jahr 2021 auf Lesbos in Kurzform
Das Jahr 2021 begann mit einem verstärkten Versuch der griechischen Behörden, NGOs zu zensieren und die Arbeit mit Asylbewerbenden, Migrant*innen und Flüchtenden zu erschweren. Auch OHF musste diese Hürde nehmen und sich in Griechenland neu registrieren lassen. Zum Glück, insbesondere dank der harten und detaillierten Arbeit unserer Freiwilligen in der Schweiz und vor Ort auf Lesbos, haben wir es erfolgreich geschafft.
Mavrovouni, das Zeltcamp, das nach dem Brand von Moria vor 14 Monaten “provisorisch” errichtet wurde, ist immer noch das Hauptcamp auf Lesvos. Kurz nach dem Brand wurde die Errichtung von geschlossenen kontrollierten Zentren angekündigt. Das erste und einzige kontrollierte Camp wurde im September auf Samos eröffnet. Die meisten Organisationen, die mit Flüchtenden arbeiten, halten sie für eine unmenschliche Alternative, in der die Menschen untergebracht werden, bis sie ihren Asylbescheid erhalten. Im Gegensatz dazu wurde eine der wenigen menschenwürdigen Unterbringungsmöglichkeiten für Flüchtlinge auf Lesbos, das Familiencamp Kara Tepe, Ende Mai geschlossen. Die rund 600 Menschen, darunter auch Kinder und schutzbedürftige Personen, die darin wohnten, wurden nach Mavrovouni verlegt.
Neben den harten Lebensbedingungen im Camp stellten die Covid-19-Beschränkungen und die schlechte Gesundheitsinfrastruktur eine zusätzliche Belastung für die dort lebenden Menschen dar. Verheerende psychische Probleme, insbesondere bei Kindern im Lager Mavrovouni, wurden von Ärzte ohne Grenzen im ersten Quartal 2021 diagnostiziert. Impfungen wurden für die Menschen im Camp im Juni zugänglich, sechs Monate nachdem sie für Griech*innen möglich wurden. Auf Lesbos steigt die Zahl der Covid-19-Fälle im Dezember wieder an.
Der Wegfall lebenswichtiger Sozialleistungen der griechischen Regierung wie die Einstellung der HELIOS-Mietzuschüsse und der Bargeldtransfers für Menschen, die ausserhalb der offiziellen Flüchtlingscamps lebten, trug in diesem Sommer zur verzweifelten Lage vieler Flüchtlinge in ganz Griechenland bei.
Nach Angaben des UNHCR wurde am 31. Oktober 2021 mit 376 Personen pro Tag die höchste Zahl ankommender Menschen verzeichnet. Im Vergleich dazu kamen im Oktober 2016 täglich mehr als 4.000 Menschen an. Im Jahr 2021 war die Zahl der Ankünfte in Griechenland generell sehr niedrig. Viele humanitäre Organisationen führen den Rückgang auf die systematischen und illegalen Rückschiebungen von Asylbewerber*innen in die Türkei durch griechische Behörden, einschließlich Frontex – der Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache – zurück.
Im dritten Quartal 2021 stieg die Zahl der illegalen Rückschiebungen auf den höchsten jemals verzeichneten Stand. Im Durchschnitt gab es 2021 mehr als 35 illegale Rückschiebungen pro Monat. Im August und September verdoppelte sich diese Zahl, so dass allein im September mehr als 2’200 Menschen das Recht auf Asyl entzogen wurde.
Nach Angaben der IOM (Internationale Organisation für Migration) wurden mehr als 30’000 Flüchtlinge im Mittelmeer abgefangen und nach Libyen zurückgeschickt. Auf der zentralen Mittelmeerroute sind im Jahr 2021 rund 1’500 Menschen ertrunken. Der jüngste Vorfall ereignete sich am 27. Dezember, als 27 Flüchtlinge in Libyen an Land gespült wurden. Nur wenige Tage zuvor waren Anfang Dezember mindestens 16 Menschen vor der Küste von Paros (GR) ertrunken.
Im Jahr 2021 wurde die Flüchtlingskonvention 70 Jahre alt und das EU-Türkei-Abkommen 5 Jahre.
Zahlen, Ankünfte und Push-Backs
Derzeit sind etwa 2000 Flüchtlinge auf Lesbos und jeweils etwa 400 auf Samos und Chios registriert. In den letzten drei Wochen bis zum 19. Dezember wurden 48 Boote mit 1036 Personen illegal angehalten. Im gleichen Zeitraum kamen 288 Menschen auf den Inseln an.
Afghanistan ist mit 26 % nach wie vor das Hauptherkunftsland aller über das Meer ankommenden Menschen. Menschen aus Somalia machen 15 % aus und Menschen aus der Demokratischen Republik Kongo sowie aus dem Staat Palästina machen nach Angaben des UNHCR etwa 9 % aus.
Covid-19 in Griechenland
Wie in weiten Teilen der Welt gibt es auch in Griechenland die neue Covid-Variante Omikron. Sowohl in Innenräumen als auch im Freien besteht aktuell eine Maskenpflicht. Auf Reisen oder beim Besuch eines Supermarkts ist eine Doppelmaske oder eine KN95-Maske erforderlich.
Papst besucht Camp
Anfang Dezember besuchte der Papst das Camp. Dieser Besuch hinterliess jedoch sehr gemischte Gefühle. Wie bei früheren Besuchen “wichtiger” Personen wurde das Camp im Vorfeld gereinigt und verbessert. Dies allerdings nur in sehr ausgewählten Bereichen. Darüber hinaus wurde offenbar eine Art Tribüne errichtet. Und nach Angaben einer unserer Community Volunteers wurde der Bereich für alleinstehende Männer durch zwei Reihen MAT-Polizei blockiert. Sie durften das Camp während des gesamten Besuchs nicht verlassen.
Wir fragen uns also: Wusste der Papst das alles? Ist ihm bewusst, dass die Tage im Camp vor und nach seinem Besuch anders waren als normalerweise und dass die Menschen in der Regel unter anderen Bedingungen leben als denen, die ihm präsentiert wurden?