Die Situation bleibt angespannt

Ein Klima der Angst
“Ich bin besorgt über die zunehmende Kriminalisierung von humanitärer Hilfe in Griechenland”, sagte die Sonderberichterstatterin für Menschenrechte, Mary Lawlor,  bei ihrem jüngsten Besuch auf den Ägäischen Inseln Ende Juni über Griechenland. Vor allem Menschenrechtsverteidiger*innen sind seit 2019 vermehrt mit Strafverfolgung konfrontiert, wenn sie sich mit Geflüchteten und anderweitig Gestrandeten solidarisieren. Insbesondere das diskriminierende NGO-Register für Organisationen, die im Bereich Migration tätig sind, sei ein problematischer Teil des neuen Rechtsrahmens in Griechenland, der das Klima der Angst unter vielen internationalen Helfer*innen noch verstärkt.  (Auch das OHF hatte Mühe, sich zu registrieren, aber wir haben es tatsächlich geschaft!) Sie erklärte auch, dass die fehlende Unterstützung durch andere europäische Staaten zu diesen fragwürdigen Praktiken in Griechenland geführt hatte. 

Zahlen auf den Inseln
Ende Juni leben schätzungsweise 2214 Menschen auf den Ägäischen Inseln, die meisten davon noch auf Lesvos. 583 Menschen gelangten in diesem Monat über das Mittelmeer an die Küsten der Inseln, während etwa von 3700 Menschen bekannt ist, dass sie mit Pushback zurückgeschoben wurden. 

Push Backs kommen weiterhin vor
Nach Angaben der griechischen Küstenwache wurden mehrere tausend Personen an der Einreise ins Land gehindert, insbesondere über den Seeweg via der Ägäis. Die griechische Küstenwache gab bekannt, dass diese Menschen in internationalen Gewässern aufgegriffen und in die Türkei zurückgebracht wurden, wo sie angeblich sicher seien. Diese Ansicht ist nach wie vor sehr umstritten. Auch aufgegriffene Migrant*innen sollten die Möglichkeit haben, einen Antrag auf Asyl zu stellen. Darüber hinaus reissen die Geschichten von Migrant*innen, die vom Land auf den Ägäischen Inseln wieder zurück in internationales Gewässer zurückgebracht werden, nicht ab. Fast wöchentlich hören wir neue Berichte von diesen haarsträubenden, illegalen Praktiken. Das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) hat fast 540 gemeldete Vorfälle von “informellen Rückführungen durch Griechenland seit Anfang 2020” registriert. Unsere befreundete Organisation, der Aegean Boat Report, hat weitaus höhere Zahlen registriert. Der EU-Menschenrechtsgerichtshof in Strassburg hat in 13 verschiedenen Pushback-Fällen, von denen auch Kinder betroffen waren, einstweilige Verfügungen oder sogenannte Interimsmassnahmen erlassen.

Spannungen erwartet
Griechenland und die Türkei konkurrieren seit Jahrzehnten um Luft- und Seerechte in der Ägäis, obwohl sie beide NATO-Mitglieder sind. In den letzten Wochen wurde die Rhetorik der Türkei in Bezug auf Zypern aggressiver, und Griechenland beschuldigte die Türkei immer häufiger, Migrant*innen im Grenzgebiet von Evros zu instrumentalisieren. Streitigkeiten zwischen den beiden Mittelmeerländern werden auf dem NATO-Gipfel diese Woche in Madrid daher erwartet. Spanien wird dort eine Initiative vorstellen, die darauf abzielt, die Migration angesichts der sich ankündigenden Hungerkrise in vielen Ländern des Nahen Ostens und Nordafrikas zu begrenzen bzw. zu verhindern. Griechenland wird diesen Vorschlag voraussichtlich unterstützen. Der unmenschliche, dysfunktionale EU-Türkei-Deal sollte dabei nicht als Präzedenzfall für ein weiteres Anti-Migrationsprogramm von Europa dienen. Vor allem nicht vor dem Hintergrund einer durch den Klimawandel verursachten und durch den tragischen Krieg in der Ukraine noch verschärften Krise der Ernährungssicherheit. Die westlichen Länder sollten andere Lösungen finden, als ihre Grenzen zu verbarrikadieren und ärmere Länder dafür zu bezahlen, damit diese sich um Menschen in Not kümmern.