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One Happy Family

Oktober 2020

Nach dem vollständigen Abbrennen des Camps Moria ist eine Migrationspolitik 2.0 erforderlich, kein Moria 2.0. Inmitten des Chaos öffnet One Happy Family seine Türen endlich wieder für alle.

Die Situation auf Lesbos und in Griechenland

Moria ist abgebrannt...
In der Nacht vom 8. September zerstörte ein Feuer das gesamte Camp Moria. Das Feuer brach an mehreren Stellen innerhalb des Lagers aus, nachdem 35 Personen positiv auf COVID getestet und angewiesen worden waren, sich innerhalb des Lagers ohne eine ordnungsgemässe Quarantäneeinrichtung zu isolieren.
Über 12700 Menschen flohen aus dem brennenden Camp. Kinder, Frauen und Männer, die versuchten, sich aus dem Feuer zu retten, trafen auf Polizei, die Tränengas gegen sie einsetzte, und andere Strassenblockaden errichtete.
Ende September ermittelt die Polizei wegen Brandstiftung gegen sechs junge Geflüchtete. Niemand wurde durch das Feuer verletzt.

12'700 Menschen auf der Strasse
Zwischen dem 8. und 17. September mussten Menschen aus dem Camp Moria im Freien auf der Strasse und an den Stränden schlafen, mit nichts, ausser dem wenigen, was sie vor dem Feuer retten konnten. Einige wenige Menschen wurden vorübergehend in Booten im Hafen untergebracht. Für den Rest fehlte es an allem - Essen, Notschlafplatz und sanitäre Einrichtungen. Trotz all diesen Widrigkeiten wollte kein einziger Mensch zurück im Camp Moria sein.

Hilfsorganisationen wie One Happy Family sprangen erneut ein und unterstützten zusammen mit Einheimischen, wo sie nur konnten. Doch diese Hilfe reichte natürlich bei weitem nicht aus. Europa muss handeln!
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Menschen stehen Schlange um Essen von NGOs zu erhalten, während sie tagelang im Freien ausharren müssen.

und was jetzt...?
Ein neues "provisorisches" Zeltlager wurde in der Gegend von Kara Tepe errichtet. Es soll eine Kapazität von 12'000 Personen haben. Aber die Zelte entsprechen keinem Mindeststandard; sie haben keine Art von Bodenbelag, keine Isolation und sind nicht einmal mit Schlafmöglichkeiten ausgestattet. Am 17. September wurden die Menschen unter einem massiven Polizeiaufgebot dazu gezwungen, in das neue Camp zu gehen. Medien und Journalisten durften die neuen Unterkünfte nicht besichtigen.
Die meisten Menschen wollten die neue Einrichtung nicht betreten, da sie Angst haben, erneut für mehrere Monate eingesperrt zu werden und unter ähnlich unmenschlichen Umständen wie im Camp Moria gefangen zu sein. Da die griechischen Behörden ankündigten, dass sie nur die Asylanträge der Personen bearbeiten werden, die sich in der neuen Einrichtung registrieren lassen, hatten sie jedoch kaum eine andere Wahl.

Unzureichende Reaktionen vor Ort und von der Politik
Zelte sind keine angemessene Lösung für den Winter auf Lesbos. Das hat die ganze Welt bereits im Winter 2015/16 gelernt, als Menschen erfroren oder beim Versuch, warm zu bleiben, starben. Was wir brauchen, ist eine politische Lösung; eine EU-Migrationspolitik 2.0 und nicht ein Moria 2.0. Der neue EU-Migrationspakt, der am 23. September angekündigt wurde, wird die Probleme auf den Ägäischen Inseln nicht lösen. Die angekündigten Massnahmen konzentrieren sich vor allem auf die Beschleunigung der Asylverfahren, scheitern aber erneut daran, ein System zu schaffen, in dem die Menschenwürde gewahrt und die grundlegenden Menschenrechte eingehalten werden.
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Fotos von Aegean Boat Report
Weitere Eindrücke von der neuen Einrichtung findest Du hier: https://www.facebook.com/AegeanBoatReport/photos/pcb.924537871402651/924547721401666

Abschreckung
Die schlecht gebaute neue Einrichtung scheint der Absicht der Griechen gerecht zu werden, Menschen davon abzuschrecken, nach Lesbos zu kommen. Bereits die unmenschlichen Bedingungen im Camp Moria schienen den Menschen, die das Mittelmeer überqueren wollten, zu signalisieren: "Es ist schlecht hier drüben, kommt nicht hierher". Die neue provisorische Struktur wiederholt diese Botschaft. Die Weigerung Griechenlands, 1500 Flüchtlinge nach Deutschland durchzulassen, ist ein weiteres Zeichen dafür, dass Griechenland das Leiden der Menschen akzeptiert. Etwas, das von den anderen europäischen Ländern nicht akzeptiert werden kann und darf.

Wir haben gehört, dass die EU bereit ist, zu helfen. Der einzige Weg zur Hilfe besteht darin, ein konsequentes Umsiedlungsprogramm zu schaffen, das gleichzeitig der griechischen Regierung, den Einheimischen und den Asylsuchenden Hilfe bietet. Wir kennen die starke Anti-Migrationspolitik, die die griechische Regierung seit ihrer Wahl im Juli 2019 betrieben hat und sprechen uns klar dagegen aus. Ohne dauerhafte Lösungen seitens der EU wird die griechische Regierung ihren Plan der geschlossenen Lager und der Push-Backs vorantreiben, um die Menschen davon abzuhalten, an die Hotspots zu gelangen.

Schnelle Verbreitung von COVID
Aus dem neuen provisorischen Camp in Kara Tepe wurden bis zum 21. September mehr als 240 Fälle gemeldet. Der erste bestätigte Fall von COVID wurde am 2. September verzeichnet, 35 positive Fälle wurden bis zum 9. September bestätigt. Die erste Reaktion der Beamten bestand darin, das gesamte alte Camp in Moria für zwei Wochen unter Quarantäne zu stellen, ohne jegliche zusätzliche medizinische Unterstützung innerhalb des Lagers bereitzustellen.
In der neuen Einrichtung wurden zwei Quarantänezonen angekündigt, die jedoch noch nicht errichtet worden sind. Das Risiko, dass sich COVID in einer derart chaotischen und verheerenden Situation ausbreitet, steigt deutlich. COVID scheint momentan jedoch die geringste Sorge vieler zu sein; die Menschen versuchen vielmehr, sich in einer der unmenschlichsten Bedingungen in Europa in Sicherheit zu bringen und brauchen dafür all ihre Energie. Bei ihrer Ankunft im neuen Camp, werden aktuell alle einem PCR-Schnelltest unterzogen, um die Ausbreitung von COVID zu überwachen.

Bootsankünfte
Das erste Boot kam in diesem Monat am 6. September mit etwa 25 Personen an Bord an, darunter Frauen, Männer und Kinder. Dies war die erste Bootsankunft seit dem 12. August. Der besorgniserregende Trend der rigorosen Push Backs seitens der griechischen Küstenwache scheint sich auch in diesem Monat fortzusetzen: Während bis zum 20. September nur 3 Boote auf Lesbos ankamen, wurden 24 Boote angehalten und ihnen wurde die Einfahrt in europäische Gewässer verweigert.

Anzahl Menschen auf den Inseln
Am 18. September meldet die griechische Regierung 12.767 Personen in Moria, obwohl das Camp damals bereits nicht mehr existierte. Insgesamt werden 14548 Personen auf Lesbos gezählt, 3746 auf Chios, 4821 auf Samos und etwa 3400 auf den anderen Ägäischen Inseln. Dies führt zu einer Gesamtzahl von über 26400 Menschen, die derzeit festsitzen, während Europa weiterhin über Migrationspolitik diskutiert.
Nach dem ersten bestätigten COVID-Fall im Camp Moria wurden die Transfers auf das Festland vorerst auf Eis gelegt. Nach dem Brand kündigte die EU an, 400 unbegleitete Minderjährige auf das griechische Festland zu transferieren.
Moria kills_we need peace and freedom
Quelle: Douglas Herman, Gründer von Refocus Media Labs: https://www.facebook.com/refocusmedialabs

Während der 10 Tage, in denen die Menschen auf den Strassen und an den Stränden zurückgelassen wurden, kam es zu spontanen Demonstrationen. Singende Frauen führten grosse Gruppen friedlich demonstrierender Migrant*innen und Geflüchteten mit Kindern in Richtung Mytilini. Sie alle forderten auf eine friedliche Art Freiheit. Die örtliche Polizei, die von einer Polizeitruppe vom Festland aus verstärkt wurde, hinderte den Protestzug durch den Einsatz von Tränengas gegen diese Frauen und Kinder, so dass sie Mytilini nicht erreichen konnten.

Neuigkeiten aus dem Community Center

Nach dem Brand Hilfe zu leisten ist schwierig
Das OHF-Team konzentrierte sich nach dem Brand darauf, die medizinische Versorgung überall dort zu gewährleisten, wo sie benötigt wurde. Das Gemeinschaftszentrum blieb während dieser Zeit geschlossen. Die Wiedereröffnung war für den 17. September geplant und das medizinische Team von Medical Volunteers International plante seine Klinik auf dem Gelände wieder in Betrieb zu nehmen. Doch das massive Polizeiaufgebot, mit welchem die griechischen Behörden versuchten, die Leute ins neue Zeltlager zu zwingen, versperrte alle Strassen.
Die Regierung kündigte eigentlich an, dass das neue Camp unter Quarantäne gestellt wird, aber die Menschen konnten die neue Einrichtung trotzdem noch verlassen und wieder betreten. Dies ermöglichte die folgenden sehr positiven Nachrichten:

Endlich: OHF wieder offen für alle!
Die Situation bleibt weiterhin besorgniserregend, aber das OHF ist endlich wieder offen.
Da die Zahl der Besucher*innen auf jeweils 100 begrenzt ist und strenge Massnahmen wegen COVID gelten, empfangen wir Besucher*innen von 10 Uhr morgens bis 14 Uhr nachmittags. Am Montag, Mittwoch und Freitag sind Familien und alleinstehende Frauen willkommen, am Dienstag und Donnerstag alleinstehende Männer.
Die Menschen können ihre Zeit wieder im sicheren Gemeinschaftszentrum verbringen, im Café einen Kaffee oder Tee trinken, im Cybercafé die Computer benutzen, ihr Telefon aufladen und Spiele oder Bälle ausleihen.
Jeder muss sich wegen COVID 19 registrieren, damit wir genau wissen, wer wann ein- und ausgeht und um sicher zu sein, dass wir bei Bedarf eine Kontaktverfolgung durchführen können.
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Am ersten Tag wussten etwa 15 Menschen, dass das OHF wieder geöffnet war, am zweiten Tag kamen bereits 60 Menschen ins Gemeinschaftszentrum und genossen die Angebote. Diese ersten beiden Tage waren ruhige, aber glückliche Tage - genau das, was wir alle nach den letzten Wochen brauchen.
Bereits für Montag, den 28. September, erwarten wir 100 Besucher*innen, die an den Aktivitäten des OHF wieder teilnehmen werden. Mit den Gruppeneinteilungen in Männer, Frauen und Familien versuchen wir auszugleichen, dass wir nur maximal 100 Personen begrüssen können. Dennoch befürchten wir, dass leider viele nicht rein kommen können, und warten müssen, bis eine Person das Gemeinschaftszentrum wieder verlässt.
Der Eingang des neuen Camps ist nur etwa 10 Minuten zu Fuss von OHF entfernt. So ist es nun etwas weniger schwierig, den Leuten zu sagen, dass sie ein anderes Mal wiederkommen sollen, als dies bei der früheren Entfernung - etwa eine Stunde - vom Camp Moria war.
Trotz all dem: dies sind die ersten Schritte, und wir freuen uns, dass wir zumindest für einige Leute den Platz wieder zur Verfügung stellen können.
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cyber cafe
Zusammenarbeit mit NGOs, die im Camp Moria und im Olivenhain arbeiten
Das OHF musste lange Zeit geschlossen bleiben und wir waren nicht in der Lage, allen die gewohnte und angemessene Unterstützung zukommen zu lassen. Deshalb mobilisierten wir unser Team und schlossen uns mit anderen lokalen NGOs vor Ort zusammen und koordinierten die Unterstützung vor Ort. So half unser Team bei der Bereitstellung von Hygienebeuteln und bei der Verteilung von Lebensmitteln auf der Strasse mit und brachte sich aktiv da ein, wo es gerade am dringendsten war.
Nach dem Brand hielt die Polizei die Familien auf der Strasse nach Mytilini, nur wenige Meter von OHF entfernt, auf der Straße fest. Nach vier langen Tagen wurden alle Menschen in den ehemaligen militärischen Schiessplatz hinein gedrängt, wo Zelte aufgestellt waren und was sich als das neue Lager herausstellte.
Wir erlebten die Proteste der ehemaligen Bewohner*innen von Moria, und bezeugten die flächendeckenden Proteste der griechischen Bürger*innen im ganzen Land gegen die staatliche Politik. Wir unterstützen dieses Engagement und ziehen viel Energie für die Fortsetzung unserer Arbeit daraus. Zusammen tun wir unser Bestes, um uns gegenseitig zu helfen.

Was kannst du tun?

Nicht das, was wir brauchen!
Hilf mit, einen Sturm in den sozialen Medien zu erzeugen, um die EU-Kommission wissen zu lassen, dass ihr Pakt nicht die radikale Veränderung ist, die wir brauchen:

1: Wähle einen Text aus unserem Social-Media-Paket aus und poste ihn mit einem Bild oder Video auf Instagram, Facebook oder Twitter: https://www.europemustact.org/new-pact-social-media-pack

2: Bitte deine Freunde, Familie und Kollegen, die Petition zu teilen und zu unterzeichnen:
https://www.change.org/firemoriacamp

3: Informiere Dich über den Asyl- und Migrationspakt:
https://bit.ly/3cnGtEm

Genug ist Genug! Enough is Enough!
Gemeinsam mit mehr als 200 Organisationen fordern wir von den europäischen Staats- und Regierungschefs, dass sie handeln. Der Brand im Camp Moria und wie mit den dort festsitzenden Menschen seither umgegangen wurde, verdeutlichen einmal mehr die vielen Versäumnisse der europäischen Migrationspolitik. Es zeigt, dass die Menschenrechte nicht mehr für alle gelten und dass nicht jedes Menschenleben für die Politiker*innen Europas von Bedeutung ist.

Gleichzeitig erleben wir eine wachsende Solidarität innerhalb Europas. Viele Menschen protestieren seit dem Brand erneut für Veränderungen in ganz Europa und fordern Taten, und zwar jetzt! Wir müssen uns zusammenschliessen, um dies zu erreichen!

Spenden
Wir erhalten viele Fragen, ob und wozu wir Spenden brauchen. Herzlichen Dank!
Doch da wir noch etwas Zeit brauchen, um uns in diesem Chaos zurechtzufinden, fühlen wir uns nicht wohl, eine spezielle Spendenaktion zu starten. Für jede*n, die/der jetzt schon spenden möchte, schlagen wir medizinische NGOs vor: Medical Volunteers International (www.medical-volunteers.org/de ). und Ärzte ohne Grenzen / Médecins Sans Frontières (www.msf.ch).

Genauso brauchen die bereits völlig ausgelasteten Rechtshilfeorganisationen noch mehr Unterstützung, jetzt, wo die Asylverfahren auf Eis gelegt wurden. Es wird ein völliges Chaos sein, wenn das Asylbüro wieder öffnet und seinen Betrieb wieder aufnimmt. Wir schlagen insbesondere HIAS, das Rechtszentrum Lesvos (https://www.hias.org/where/greece ), und Fenix Humanitäre Rechtshilfe (www.fenixaid.org) vor.

#SavePikpa
PIKPA ist ein offenes, selbst organisiertes Camp für Geflüchtete in Mytilini, Lesbos. Es ist eine der wenigen menschenwürdigen Unterkünfte, die für speziell verletzliche Geflüchtete wie unbegleitete Minderjährige, übrig geblieben sind. Gegenwärtig leben dort mehr als 100 Personen. Die griechischen Behörden wollen es schliessen, so dass es keine Alternative zu den schrecklichen Einrichtungen mehr gibt. Unterstütze Pipka und hilf Menschenwürde aufrecht zu halten, indem Du Pikpas Petition unterstützt: https://www.facebook.com/groups/633160610380429
Impressum
Inhalt: Isabelle Kaufmann, Bridget Chivers, Jael Tobler
Datum: 29.09.2020
One Happy Family | https://ohf-lesvos-org | info@ohf-lesvos.org | @ohflesvos
CH23 0079 0016 9736 1524 7 (CHF) | CH36 0079 0016 9737 1172 2 (EUR)
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